Spieglein, Spieglein an der Wand …
15. August 2009 von admin
Wer hat das Sagen im Land?
Paul R. Krugman meinte kürzlich, die (westliche) „Welt habe eine zweite Weltwirtschaftskrise abgewendet“. Er täuscht. Der Berufs-Pessimist Krugman ist ein bekannter Mann. Princeton Professor für Ökonomie, Nobelpreisträger für Wirtschaft 2008, Begründer der New Trade Theory, die erklären soll, warum der Markt bisher nicht, wie Ricardo versprach, zu einer Nivellierung der Einkommen geführt hat (nämlich aus geographischen Gründen). Krugman war beratend für Ronald Reagan wie auch für Bill Clinton tätig und als wöchentlicher Kolumnist der New York Times westweltweit bekannt. Seinen rasanten Aufstieg verdankte er seiner Dissertation von 1977 über das damals anstehende „Floaten der Wechselkurse“.
Auch die Weltwirtschaftskrise wies nach dem Einbruch des Aktienmarkts 1929 wiederholte Aufschwünge auf. Diese benutzten „Wirtschaftswissenschaftler“, um Psychomassage zu betreiben und herum zu posaunen: „Das Schlimmste sei geschafft.“ Doch die Erholungen waren nur von kurzer Dauer und das Schlimmste, das erst die Nachgeborenen „Weltwirtschaftskrise“ nennen sollten, begann erst. Der Aktienmarkt durchlief erst 1932 das Tief, aber selbst das war noch nicht das Schlimmste. Dann setzten selbst im Eldorado der Marktwirtschaft die Keynes’schen Interventionen als New Deal ein. Diese Phase des Schuldenmachens kam um schon 1936/37 an ihr ergebnisloses Ende.
Erst der Weltkrieg brachte die Wende. Wie das? Weil er auf breiter Front Forderungen liquidierte, einen großen Wirtschaftsraum freifegte und einer geschrumpften Clique wieder Spielraum zum fröhliche Auf- und Neuver-schulden geschaffen hatte. 1945 gab es kaum noch Verbraucherschulden. Die Aufschuldung ließ sich mit der neu gefüllten, finanzpolitischen Trickkiste über 62 Jahre hinziehen, wobei sie bereits nach der Hälfte der Zeit vom realwirtschaftlichen Boden ab- und sich in die virtuelle Räume der Finanzmärkte er-hob. Nun besaßen die ganz Wenigen echte Forderungen. Ein noch breites Mittelfeld „verbriefte“ Scheinforderungen und der Rest neben TV-Berieselung etwas Wohlstandsmüll. 2007 waren auch diese Spielräume belegt: Die Wenigen saßen auf Forderungen, die viel zu Vielen auf Schulden, der Mittelstand auf Papier.
Warum behält Krugman Unrecht? Der Markt nivelliert nicht, wie er sagt. Dazu war die Marktwirtschaft nicht konzipiert worden. Der Markt wollte revolutionieren, d.h. das Vermögen der regierenden Oberschicht (Adelsclique) an das Finanzkapital transferieren. Wer Adam Smith, Stuart Mill oder Karl Marx bis zum Ende liest und dabei noch mitdenkt, könnte das entdecken. Neben dem Adel ruinierte (verschuldete) der Markt (wie geplant) auch die Produzenten, güterproduzierende Unternehmer und Arbeiter gleicherweise. Und danach? Dann ist die Masse reif für den „Sozialismus“ a la Shaw und Huxley, für die Regierung der Avantgarde der Hochfinanz (manche sagen „der Arbeiterklasse“, aber das ist der gleiche Etiketten-Schwindel, wie beim Wort „Sozialismus“, das Soziales unterstellt). Eine auserwählte Clique von Experten erarbeitet Pläne, wie die Masse der des Denkens entwöhnten, aber noch einigermaßen funktionierenden Menschen in optimaler Anzahl (etwa eine Milliarde weltweit) nach den Vorstellungen der Hochfinanz optimal leben soll – und sorgt (in Konkurrenz untereinander) für ihre effektivste Umsetzung. Wie die meisten angebotenen Paradiese wird auch dieses die reinste Hölle werden.
Krugman und Co. geben vor, die Krise sei der Ausnahmefall, wo sie doch die Normalität der Marktwirtschaft ist. Erst in der Krise setzt sich der Marktes gegen alle (un)geplanten Verzerrungen durch, verteilt er die produzierten Güter anspruchsgerecht. Wie es zu den Ansprüchen kommt, regelt nicht er, sondern die Herren der Geldschöpfung. Eine Marktwirtschaft ohne Krisen gibt es nicht, denn die Marktregulierung ist die Krise. Sie wirft die kaum erkennbaren und aus Bequemlichkeit kaum vermeidbaren disproportionalen Entwicklungen auf den nackten Boden der Güterversorgung zurück. Das Fiat-Money System ist der Trick, um die Verzerrungen sich solange entwickeln zu lassen, bis der fällige Absturz möglichst nahe an den Nullpunkt zurückfällt, um von dort aus das Paradies zu errichten.
Alle Konjunkturprogramme, die die Marktwirtschaft krisenfrei machen, oder doch die Krisen abmildern wollen, verschlimmern sie nur. Warum wollen das Marktwirtschaftler, Marktideologen und Marktgläubige nicht wahrnehmen? Weil es ihnen ernsthaft nie um die Regulierung und Steuerung durch Mr. Market ging. Der Markt diente ihnen nur als Vorwand, hinter dem sie möglichst ungestört ihre „komparativen“ Vorteile auszuspielen, ihre Zeitgenossen zum eigenen Vorteil über den Tisch zu ziehen und auszunehmen gedachten – bis sie überrascht selbst an der Reihe waren.
Im Markt, wenn er real funktionieren würde, gäbe es keinen Gewinn, da die Ausgaben der einen nur die Erlöse der anderen sein können und umgekehrt. Gewinne sind, wenn sie nicht bloße Eigentums-Umverlagerungen sind, nichts anderes als Illusionen, die sich aufgrund der wertfreien Geldvermehrung bilden konnten. Die Geldvermehrung ist nach allen Regeln der herrschenden Volkswirtschaft nur eine Schuldenvermehrung. Der eine bekommt Forderungen an etwas, was noch nicht vorhanden ist, der andere entsprechend Schulden, für die er demnächst umsonst wird arbeiten müssen. Da die mit den Forderungen, außer Macht, alles, was sie zum Leben brauchen, schon haben, nimmt die Illusion ihren bösen Lauf. Erst die Zeitverschiebung macht dies möglich. Denn der Markt (seine ausgleichende Wirksamkeit einmal unterstellt) gleicht das vorgegebene Mengenverhältnis von vorhandenen Zahlungsmitteln und Waren im Jetzt ab, während der Ausgleich von Forderungen und Schulden auf morgen vertagt wird. Die Schuldner (wie alle übrigen ebenso) haben den Kredit bereits über die überhöhten Preise abbezahlt, die „der Markt“ aufgrund der um die Kreditmenge vermehrten Zahlungsmittel bei vorgegebenem Angebot eingestellt hatte. Dagegen bleiben ihnen die mit dem Kredit geschaffenen Forderungen am Hals.
Bei Krediten für produktive Investitionen ist der Sachverhalt, wegen der damit verbundenen Wertschöpfung, etwas weniger offensichtlich als beim Konsumentenkredit. Deshalb beziehen sich als Wissenschaftler verkleideten Propagandisten meist auf ihn, wenn sie „das System“ mit allerlei Finten unzureichend bis falsch erklären. Die nach dem Zweiten Weltkrieg auf „Full Spectrum Dominance“ abzielende Hochfinanz förderte gerade deshalb den Konsum-Kredit und dann auch noch die Abschöpfung möglicher Investitionen in produktive Anlagen durch die scheinbar viel mehr „Gewinn abwerfenden“ Finanzmärkte.
Jetzt werden die Forderungen eingetrieben. Die US-Schulden, die z.B. im Jahr 2000 auf etwa 26 Billionen $ geschätzt wurden, sollen inzwischen auf über 52 Billionen $ angestiegen sein. Davon sind 38 Billionen Schulden privater Haushalte. Statt ihre Verdienste auf den Markt zu tragen, zahlen die Verbraucher nun Schulden ab (das heißt sie lösen Fiat-money wieder in das Nichts auf, aus dem es geschöpft worden war). Die US-„Sparquote“ („gespart“ wird auf dem falschen Konto) ist im letzten Jahr von 0,2% auf 7% angestiegen und wird wohl noch weiter steigen, um dem Schuldendienst gerecht zu werden. Weil die zahlungsfähige Nachfrage sinkt, reduzieren die Produzenten folgerichtig ihr Angebot und entlassen überflüssig gewordene Arbeitskräfte. In Restdeutschland kündigen neben vielen anderen Betrieben zur Zeit die Kaufhäuser Quelle und Acandor dergleichen an, obwohl die Umsätze des Einzelhandels im letzten Jahr erst um 2,4% abgenommen haben. Bei der gewerblichen Wirtschaft waren es immerhin spektakuläre 17%. Irgendwo nimmt die Krise ihren Anfang und die gefüllten Lager sorgen für „Disproportionalitäten“. In anderen westlichen Ländern ist das nicht viel anders. Hatte ein Verbraucher sich bisher auf bis zu 15% seines Einkommens (für Zinsen und Tilgung) verschuldet, und wird er nun arbeitslos oder muß sich im auf dem Arbeitsmarkt wegen der knapper gewordenen Arbeitsplatz auf die Hälfte seines bisherigen Einkommens beschränken, dann ist er plötzlich zu 30% seines Einkommens verschuldet und beginnt an den Offenbarungseid zu denken. Damit wechselt der Rest seines Eigentums an die Kreditgeber, das heißt, letzt-instanzlich an die Hochfinanz.
Hat ein Unternehmer seinen Geldgewinn, statt Papiere zu kaufen, sogar „realisiert“, also entsprechend mehr Werte geschaffen, dann entwertet diese nun der Markt aufgrund der fehlenden zahlungsfähigen Nachfrage. Nur den materiellen Privatbesitz mag ihm die Hochfinanz so lange belassen, als er nicht auf zusätzliche Zahlungsmittel angewiesen ist. Aus diesem Grund besitzen manche Adelige, die rechtzeitig auf den neuen „bürgerlichen“ Kurs eingeschwenkt waren, noch ihre Schlösser. Sie hatten nur die auf ihren einstigen Besitz gegründete Macht (wie marktwirtschaftlich konzipiert) verloren (die meisten aber auch ihre Schlösser). Hat der Unternehmer bei der Gewinnrealisierung Produktionsmittel geschaffen und Güter erzeugt, dann verlieren diese aufgrund der ausbleibenden zahlungsfähigen Nachfrage ihren Geldwert oder bleiben ganz unverkäuflich. Hat er dazu auch noch, wie üblich, Kredit aufgenommen, dann wechseln die abgewerteten Güter bald die Besitzer. Letztlich übernimmt die Hochfinanz und setzt „Manager“ von ihren Gnaden ein. Wie Arbeiter durch das Prekariat, so werden Unternehmer (wie marktwirtschaftlich geplant) durch „Verwalter“ ersetzt. Entsprechend funktioniert heute die produzierende Wirtschaft.
Länder, die sich dem Zugriff der Hochfinanz entziehen wollten, wurden früher mit Krieg überzogen, in dem man verschuldete Regierungen verpflichtete, statt der fälligen Zahlungen, Krieg zu führen. Es fanden sich in der von der Enteignung bedrohten Oberschicht immer genug „Mitverdiener“, die entsprechende Forderungen aufgriffen und zum persönlichen Vorteil zum Krieg bliesen. Kein Volk wollte Krieg, wenn es nicht von einer entsprechenden Avantgarde verführt oder von außen angegriffen worden ist.
Im Grunde ist das heute noch so, wenn auch die möglichen Aufschuldungsräume (Rußland, China, Iran und wenige andere), die sich der Hochfinanz dazu anbieten, kaum noch die Anstrengung lohnen, weil sie möglicherweise auch ohne Krieg vereinnahmt werden können. Trotzdem bleibt diese Option bestehen, wie man mit etwas Gespür an der entsprechend vorbereitenden Hetze in den Medien und den „Unruhen“ in den Ländern leicht erkennt.
Geht es ohne Krieg, oder lassen sich Kriege nur noch mit Söldnern führen, kann man auf (National)Staaten ganz verzichten. Dazu experimentiert man mit der EU-Verfassung, dem Lissaboner Vertrag. Nachdem sich das Bundesverfassungsgericht (BVG) gegen diese Experimente ausgesprochen hatte, wollen nun 30 „hochrangige Juristen“ – darunter die beiden Bevollmächtigten des deutschen Bundestags in Lissabon, die Juraprofessoren Ingolf Pernice und Franz Mayer erreichen, daß Verfahren zu europarechtlichen Fragen zuerst vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden werden und das BVG nur noch im Rahmen der Entscheidungen verbliebene Unklarheiten zu klären hat. http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,641250,00.html
Konsequenter ist der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Schon in der 29. Woche war in der Zeitung Junge Freiheit zu lesen, Jürgen Rüttgers fordere die „Vereinigten Staaten von Europa“, d.h. das Ende der deutschen Eigenstaatlichkeit und wolle zu diesem Zweck das Grundgesetz ändern. Letzteres wäre keine große Sache, weil sich die Regierungspolitik ohnehin nicht mehr an dieses Gesetz hält. Es wurde bisher schon an die hundert Mal den Bedürfnissen der Regierenden angepaßt. Wenn das mißlang, wurde es gegen den Buchstaben interpretiert oder einfach übergangen und so z.B. „unsere Freiheit“ im Kosovo oder Afghanistan oder, wo sonst die „Bündnispflicht“ es vorgibt, verteidigt. Die Hochfinanz benötigt zwar noch einen Verwaltungsapparat aber keinen Nationalstaat, der seine Bevölkerung davor schützen könnte, ausgenommen, vergewaltigt oder gar abgeschafft zu werden – selbst wenn das für einen „guten Zweck“ geschehen sollte.
Dr. Helmut Böttiger